Die Frostmann-Saga Teil 8: Vom dunklen Hauch und nebligem Hofgrauen
Die Abendsonne zog ihren letzten goldenen Schleier über das kahle Land, als die Gefährten die ersten Umrisse eines abgelegenen Gehöfts am Fuße fahl gezackter Gipfel erkannten. Ein frostiger Hauch schlich über die abgeernteten Felder, jagte welk gewordene Halme über steinige Spuren und flüsterte von uralter Einsamkeit. Die Gruppe umkreiste das verwitterte Holzhaus, dessen morsche Balken von Jahren schweigenden Verfalls kündeten, während eine bröckelnde Stallung und ein steinerner Brunnen stumm vom einstigen Leben sprachen. Doch von einem fehlte jede Spur, dem Drachen!
Kein Geräusch erreichte ihre Ohren – kein Wiehern, kein Blöken, kein Röhren. Nur der kalte Wind, der sich in den knorrigen Ästen eines abgefallenen Baumes verfing. Misstrauen legte sich wie ein dichter Nebel über die Gemeinschaft, als sie sich erneut vor der Schwelle sammelten, wo die verwitterte Tür ihnen eine Ahnung von Gefahren gab, die selbst das Knarren an eisigen Nächten gebar.
Eirik, der junge Thorwaler, stellte sich behutsam an den Rand des Türrahmens. Sein Herz pochte in ruhigen, aber bestimmten Schlägen. Die Erwartung eines ersten Blicks vermischte sich mit einem Anflug von Unbehagen. Asgrim, wie immer recht stumm, stand wachsam an Eiriks Seite.
Ein leises Murmeln wehte aus dem Inneren, gebrochen von gelegentlichem Stöhnen und unverständlichem Raunen. Ohne Zögern schoben die Abenteurer die schwere Tür auf, ihre Schritte hallten dumpf auf dem knarrenden Dielenboden, als sie den Blick auf den Hausherrn freigaben.
Der Bauer lag im Bett, die Augen weit geöffnet, doch sein Blick verlor sich in einem weit entfernten Raum der Erkenntnis. Seine Lippen bewegten sich, formten verhüllte Worte, die sich zu Fersen fügten: „Der Rabe spricht, der Brunnen schweigt, des Hexenstabs Erinnerung zeigt. Drei Zeichen sind der Pfad der Macht, doch wähle falsch – und Nacht erwacht.“
Kaum war der letzte Vers verklungen, ließ das Auf und Ab seiner Brust nur erahnen, dass sein Körper wie ein Schiff auf stürmischen Fluten gefangen blieb.
Eirik trat näher, legte die warme Hand sacht auf den Deckenrand und ließ seine Worte wie einen sanften Strom durch den Raum gleiten, um den Mann aus dem Bann zu lösen. Doch der Bauer verharrte in regloser Trance. Auch Grimbald versucht mit zwergischer Höflichkeit den Bann zu brechen. Doch auch sein Angebot verhallte, als spräche er in einem Bergschacht, den kein Klang vollständig verlassen konnte.
Der Rabe spricht, so sagte es der Bauer.
Ein ungläubiges Kopfschütteln rüttelte die Stille auf, als Eirik stumm die Worte hinterfragte, dass Raben zu sprechen vermochten. Thronde aber trat an den jungen Thorwaler heran und erklärte mit Bedacht, dass gerade Raben jene Geschöpfe seien, die Boron, dem Zwölfgott des Todes, des Schlafes und der Träume, dienstbar wären. In ihren schwarzen Federn lägen Schatten des Übergangs zwischen Leben und Tod.
Ein unerwarteter Rückschritt Eiriks ließ die vom Fackelschein besänftigenden Schatten tanzen, während Erinnerungen wie eisige Pfeile sein Bewusstsein durchbohrten. Er sah den Raben vor sich, wie er einst in Nordwall über dem frostverhüllten Marktplatz kreiste und lautlos gen Norrn-Stieg entschwunden war. Bilder flimmerten in seinem Inneren: das Knirschen des Schnees unter frierender Haut, den Todeshauch in grauem Dunst.
Um ihn herum verteilten sich die Gefährten durch den weiten Raum des Bauernhauses, doch Asgrim spürte, dass sein Bruder nicht mehr ganz in ihrer Mitte stand. Dieses gedankenverlorene Abtauchen kannte er seit Kindertagen, doch diesmal lastete etwas Fremdes auf Eiriks Miene. Mit ruhiger Behutsamkeit legte er die Hand an Eiriks Arm und fragte fast lautlos nach dem Grund der Innerlichkeit.
Ein tiefer Atem holte Eirik zurück aus dem Schleier seines Gedankenspiels. Er berichtete von jenen flüchtigen Visionen, in denen er die Raben in seiner eigenen Seele gespürt hatte: ein Kitzeln am Nacken, als wollten sie ihm Einblick in verborgene Pfade gewähren. Ein Flüstern in der Luft, das ihm klares Wissen zu entlocken schien.
Stumm lauschten die Gefährten seinem Bericht. Thronde deutete in das wechselnde Licht der Fackeln hinein und malte ihnen die mögliche Bedeutung aus: Möglicherweise kündige dieses Zusammentreffen die Stunde an, in der Eirik zwischen irdischem Dasein und jenseitigem Schweigen wählen müsse. Kein Urteil sollte fallen, nur ein leises Vorspiel der Mächte, die den Schleier lüften, wenn die Zeit dafür reif sei.
Mit einem rauen Lachen wandte sich der Zwerg schließlich ab und warnte in spöttischem Ton, man möge besser einem Hühnerstall fernbleiben, ehe der Barde sich vom Gackern belehren ließe.
Eirik spürte, wie sich in ihm erneut jener stechende Groll regte, den Grimbalds wiederholtes Betiteln als „Barde“ immer wieder entfachte. Jeder Laut des abschätzigen Kosenamens brannte in seinem Inneren, ließ sein Blut an den Schläfen pochen und zog die Muskeln in seiner Hand um den Schwertknauf hart zusammen. Mit einer finsteren Miene, als spräche sein Blick für ihn, lieferte er mit blanker Klinge eine Warnung: Sollte der Zwerg ihn nochmals als leeren Barden verhöhnen, würde sein Kopf rollen.
Erst Asgrims ruhiges Eingreifen löste die aufgepeitschte Stimmung. Mit der festen Geste eines Bruders legte dieser Eirik die Hand auf die Schulter und leitete den Thorwaler sanft zurück in den Kreis der Gefährten. Die bedrohliche Stille in der Luft wich einem leisen Rascheln der Mäntel und dem gedämpften Knarren der Dielenbretter, als sich die Gruppe neu ausrichtete.
Noch immer hallte Eiriks pochender Puls in seinen Ohren nach, doch nun vereinten sich ihre Blicke wieder auf das Rätsel des Bauernhauses. In der Dunkelheit suchten sie nach Hinweisen zu der seltsamen Verfassung des Wirtes – bereit, jedes Flüstern, jeden Atemzug und jeden Schatten für den Schlüssel zur Wahrheit zu deuten.
Eine brüchige Falltür, deren rostige Scharniere vom Fackelschein matt widergespiegelt wurden, lockte mit ihrem dunklen Schlund in den Keller, während eine schief geneigte Leiter im fahlen Mondlicht wie ein stummer Pfad zum Dachboden emporstieg. Ein leises Knarren begleitete jeden Blick auf die morschen Sprossen, die genauso rätselhaft schienen wie der Keller selbst.
Plötzlich zuckte Quaz’Ra neben Eirik zusammen, als hätte ihn ein unhörbares Flüstern erschüttert. Sein Blick verfinsterte sich, und unter dem weiten Gewand glitt eine Glaskugel in seine geballte Hand. Die kühle Oberfläche des Kristalls fing den Fackelschein ein, während der Achaz mit konzentrierter Miene in die schwankenden Spiegelungen starrte. Ein weiteres Zucken ließ ihn die Kugel vor sich in Richtung Falltür heben, als sende er mit stummer Geste eine eindringliche Warnung: Der Abstieg in den Keller barg eine Gefahr, die sie nicht leichtfertig herausfordern durften.
Eirik und Asgrim rückten vor, ein Herzklopfen in der Brust begehrlicher Entdeckerlust mischte sich mit dem Respekt vor Quaz’Ras Mahnung. Mit skeptischen Blicken und angespannten Haltungen versuchten sie, den schuppigen Kameraden zur Rede zu stellen, doch seine flüchtigen Gesten und ausweichenden Blickkontakte lösten sich rasch in gedämpftes Schweigen auf. Sein Körper neigte sich zurück in den Schatten, als wolle er im Halbdunkel verschwinden und die Antwort mitnehmen.
Rotang, der reglos in der Ecke dicht bei der Falltür gestanden hatte, wich behutsam zurück, als spüre er den kalten Hauch unheilvoller Vorahnung auf seiner Haut. In diesem Zögern brach Grimbald, redselig und von ungeduldiger Wut getrieben, mit dröhnenden Schritten die Stille: Er wolle hinabsteigen und das Rätsel um den seltsamen Wirt ein für alle Mal lösen. Die Luft schien schwerer zu werden, als die Gefährten sich zwischen Neugier und Warnung abwogen.
Unbeirrt von Grimbalds dröhnendem Protest stellten sich Rotang, Quaz’Ra und Eirik unter die schiefe Leiter und stiegen hinauf. Jeder Tritt ließ das morsche Holz ächzen, während durch die Fugen des Bodenbretts fahles Mondlicht scheinende Kreise auf den Staub warf. Ein schweigendes Meer aus Spinnweben glänzte im fahlen Licht, und der Geruch von altem Harz und feuchtem Holz mischte sich mit dem Hauch von Moder.
Eirik griff an seinen Rucksack, zog eine Fackel hervor und entzündete sie mit routiniertem Handgriff. Die Flamme flackerte zaghaft, trieb tanzende Schatten gegen die schrägen Balken und enthüllte in einer entlegenen Ecke des Dachbodens den Umriss einer massiven Eichenkiste. Ihr Deckel war mit eisenbeschlagenen Rändern verstärkt, und obenauf lag ein vergilbtes Pergament, dessen Kanten eingerissen und vom Zahn der Zeit gegerbt waren.
Behutsam nahm Eirik das Schriftstück auf, sodass nur die Fackel dazu neigen musste, um seine Zeichen lesbar zu machen. Während er den flackernden Lichtkegel über die Zeilen gleiten ließ, strömte das leise Knarren der Dielen unter ihren Stiefeln in die Stille, als lausche das Holz selbst den verlesenen Worten, die in die Nacht zurückkehrten.
„14. Phexmond
Der Nebel steigt jeden Morgen höher, als wolle er das Haus umarmen.
Die Zeichen brennen noch schwach auf dem Stab. Die Spirale kam zuerst – wie immer, wenn er näher ist.
Ich hörte ihn heute wieder. Kein Tier, keine Stimme – eher ein Drängen in meinem Inneren.
Die Raute glänzt, wenn ich nahe dem Brunnen bin. Das Tor will sich öffnen.
Ich darf den Kreis nicht vollenden. Nicht ohne das Opfer. Nicht ohne das dritte Zeichen.
Wenn einer das liest: Dreh den Ring der Sonne nur bei Dämmerung. Nur dann schläft er tief genug.
Die Krähen wissen mehr, als sie sagen. Der Rabe war mein erster Bote – nun ist er stumm. Ich habe Angst, dass Trallik es nicht…“
Rotang wies den Rest der Gruppe auf den Fund hin, während Eirik und Quaz’Ra behutsam den schweren Deckel der Kiste zur Seite schoben. Darin lag eine bunte Mischung aus Waffen, silber- und kupferglänzenden Münzen, einem verwitterten Holzstock, schartige Werkzeuge, kunstvoll verzierten Tonschalen und allerlei wertlosem Plunder, dessen Bedeutung im Staub der Jahre verloren schien.
Als Eirik nach den Münzen griff, legte Quaz’Ra warnend die Hand auf seinen Arm und ließ keinen Zweifel daran, dass man sich nicht leichtfertig an fremden Besitztümern bedienen dürfe. Sein Blick war kühl und bestimmt, und ohne ein Wort kehrte er dem Inhalt den Rücken.
Unerschrocken setzte Eirik sein gewohnt charmantes Lächeln auf und erinnerte daran, dass der Bauer in seinem entrückten Zustand kaum noch Gebrauch für solche Schätze haben könne. Während Rotang, von Eiriks Überzeugungskraft geleitet, näher an die Kiste trat, glitt Eiriks Hand zu einem kunstvoll ausgeschmiedeten Schwert. Behutsam zog er die blanke Klinge hervor und wandte sich an Asgrim, um die fachkundige Beurteilung seines Bruders als Schmied einzuholen.
Asgrim nahm das Schwert in die Hand, ließ seine geübten Finger über die Klinge gleiten und spürte die gleichmäßige Balance im Mittelteil. Er erkannte in der schlichten, aber sauberen Schmiedearbeit ein solides Werkzeug – kaum ein prunkvoller Schatz, doch zuverlässig in jeder Schlacht. Mit einem zustimmenden Nicken zeigte er seinem Bruder, dass er das Schwert behalten sollte.
Inzwischen ließ der Holzfäller sich einen rauen Scherz nicht nehmen. Er verzog das Gesicht, als er die zusammengetragenen Flaschen musterte: Zu viele finstere Mixturen, zu wenig Gerstensaft, wie er neckisch meinte.
Eirik befestigte die Scheide mit dem Schwert an seinem Gürtel und folgte den anderen langsam die knarrende Treppe hinab. Asgrim begann, neugierig in der Kiste zu wühlen, zog alte Lederbeutel und brüchige Stöcke hervor, auf der Suche nach weiteren Hinweisen.
Im Erdgeschoss öffneten Rotang und Quaz’Ra die schwere Haustür und traten hinaus in die kühle Nacht. Dicke Nebelschwaden krochen über die Felder, während sie den Hof absuchten, ehe sich die restliche Gruppe zum Abstieg in den Keller bereit machte.
Während die Beiden draußen umherstreiften, richtete die zurückgebliebene Gruppe ihren Blick erneut auf das Pergament, das Eirik am Dachboden entdeckt hatte. Asgrim ließ die Zeichen noch einmal in seinem Geist Revue passieren: Die rätselhaften Hinweise auf Nebel, Symbole und einen unvollendeten Kreis. Ein schwaches Flimmern von Erinnerung führte ihn zurück zur geöffneten Kiste – war dort nicht ein schlichter Stab versteckt gewesen, den eben jene Symbole zierten?
Ohne ein Wort zu verlieren, erfasste Asgrim die morsche Leiter und zog sich hinauf. Das Holz ächzte unter seinem Gewicht, als er den Dachboden betrat, wo das Mondlicht durch Ritzen fiel und winzige Staubpartikel in der Luft zum Tanzen brachte.
Eirik folgte ihm, die Fackel wie einen leuchtenden Finger vor sich hertragend und gemeinsam schritten die Brüder zur Eichenkiste. Mit sicherer Hand griff Asgrim nach dem unscheinbaren Stab, dessen glatte Oberfläche im Lichtkegel wärmer wirkte, als es der erste Eindruck vermocht hätte.
Noch während sie die Leiter hinabstiegen, hörten sie das Knarren vertrauter Schritte. Rotang und Quaz’Ra kehrten von ihrer Erkundung zurück und reihten sich lautlos neben die Brüder, während die Gruppe nun geschlossen bereit war, das Geheimnis des Stabes und des Pergaments zu ergründen.
Asgrim hielt den Stab in den Kreis des Fackelscheins, die sorgfältig eingeritzten Zeichen schienen leise zu glühen, losgelöst vom Flackern der Flammen. Das Holz war nachtschwarz, geschmeidig und leicht verdreht, und in Asgrims Hand pulsierte eine unerwartete Wärme, als trüge der Stab selbst Leben in sich. Er musste genau der auf dem alten Pergament beschriebene Stab sein.
Behutsam ließen die Gefährten ihre Blicke der Reihe nach über die Einkerbungen wandern. Drei Symbole traten dabei besonders hervor: eine Spirale, deren Windungen im Licht tanzten, eine kantige Raute mit scharfem Profil und ein perfekter Kreis, dessen glatte Linie im Zwielicht funkelte. Um diese Hauptzeichen gruppierten sich unregelmäßige Kerben, die weniger wie Codes wirkten, sondern als dekorative Zierleisten – filigrane Ornamente einer längst vergangenen Handwerkskunst.
Daneben legten sie das vergilbte Pergament, dessen entscheidende Worte wie Schatten über den Seiten glitten. Trotz akribischen Abgleichs blieb ihr Zusammenspiel im Nebel der Andeutungen verborgen.
In diesem Augenblick traten Quaz’Ra und Rotang von ihrem Rundgang in den Kreis der Gemeinschaft. Quaz’Ra berichtete von den Krähen, die in strenger Formation auf den morschen Dächern gesessen und mit rätselhaftem Krächzen eine Reihe von Worten von sich gegeben hatten: unten eins, oben zwei, bei drei Geschrei. Rotang nickte leise und fügte hinzu, dass der Nachhall dieser Rufe selbst den kalten Wind zerteilt habe, als wolle die Nacht selbst die Botschaft hinausschreien. Die Gefährten lauschten in gespannter Stille, wohl wissend, dass nur das Zusammenspiel von Stab und Pergament den Schleier des Rätsels lüften konnte.
Eirik betrachtete die Symbole ein weiteres Mal und bemühte sich, ihre Formen mit den rätselhaften Worten der Krähen in Einklang zu bringen, doch statt Klarheit wuchsen die Fragen und das Netz der Rätsel um sie herum. Schließlich schlug er vor, der Falltür in den Keller zuerst nachzugehen und sich danach dem Brunnen auf dem Hof zuzuwenden.
Grimbald, der bereits seit geraumer Zeit lauschend vor der Falltür verweilte, schob die hölzerne Klappe zur Seite und stieg unbeeindruckt hinab, gefolgt von den restlichen Gefährten. Der Abstieg führte sie in ein eigenartiges Gewölbe: Auf dem feuchten Boden waren zahllose Zeichen eingeritzt, und in der Raummitte erhob sich eine Anlage aus ineinander verschlungenen Holzkreisen. An drei Seiten rahmten Reihen von Holzscheiben das Konstrukt ein, jede Scheibe geziert von eingravierten Symbolen, die von alter Händeschrift kündeten.
Als sie nähertraten, flammten an den dunklen Ecken des Raumes plötzlich kleine Feuer auf, deren flackerndes Licht die Schatten tanzend an die Steinmauern warf. Die Flammen wirkten unnatürlich, als lebten sie von einer fremden, inneren Hitze. Sogar Grimbald, sonst unerschütterlich wie ein Felsbruch, wich ehrfürchtig einen Schritt zurück. Eirik hob das Visier seines Helms, und ein leiser Schimmer von Belustigung lag in seinen Augen. Mit einem Anflug von Heiterkeit ließ er die Stimme durch die eisige Stille hallen und bezog sich dabei auf Grimbalds zurückweichende Haltung, als sei Furcht in seinem Schlagwort. Doch kaum hatte sich ein schalkhaftes Lächeln auf Eiriks Zügen gebildet, zog er sich wortlos wieder zum Steinkreis zurück, bereit, dessen Geheimnis zu ergründen.
Eirik ließ sich kreisförmig um die hölzernen Ringe führen, die nur wenige Fingerbreit aus dem steinernen Boden ragten. Jeder Schritt brachte ihn der unheimlichen Konstruktion näher, bis er direkt gegenüber seiner Gefährten stand. Im fahlen Licht erkannte er, dass die Ringe weder fest noch starr waren, sondern sich mühelos drehen ließen, als lägen sie auf unsichtbaren Achsen.
Thronde rückte besorgt vor, sein Blick haftete auf einer der Scheiben, während er an die Worte des Pergaments dachte: Nur bei der Dämmerung dürfe man den Ring drehen, da der Auserwählte erst dann tief genug schlafen könne. Die Erinnerung an jene Zeilen lag schwer in der kalten Luft und nahm jedem Moment die Gewissheit.
Quaz’Ra jedoch beugte sich noch näher über die Symbole und ließ seine Fingerspitzen nur knapp über die Holzoberfläche schweben. Ein kaum hörbares Knistern umgab ihn, als seine Sinne die verborgene Magie wahrnahmen, die in diesem Raum surrte, ohne sich jedoch benennen zu lassen.
Asgrim, der mit festem Griff den Stab umschloss, spürte ein sanftes Vibrieren, das sich wie leiser Herzschlag durch das Artefakt zog. Jeder Pulsschlag ließ das Holz unter seiner Hand leicht pochen, als sei es der Resonanzkörper eines uralten Liedes.
Alleine verblieb Eirik vor der Seite die keinerlei Holzscheiben aufwies. Die unberührte Fläche wirkte fast einladend, doch sein Verstand erinnerte ihn an die Warnung des Pergaments. Ein Schritt brachte ihn an die gewaltigen Räder heran, und das leise Knarren des Holzes klang wie ein Seufzer aus vergessener Zeit. In diesem Moment war sich Eirik bewusst, dass jede Bewegung hier mehr als nur Mechanik bedeutete – sie konnte ein uraltes Ritual in Gang setzen, dessen Ausgang niemand mit Gewissheit vorhersagen konnte.
Als Eirik den Blick über die Holzscheibe schweifen ließ, durchfuhr ihn urplötzlich ein Eishauch, so schneidend, dass er ihn von den Fußsohlen bis zur Schädeldecke hinauf jagte. Ein gleißender Schmerz krümmte seine Glieder, lieh seinen Muskeln eine unkontrollierbare Härte, ein gebrochener Laut entrang sich seiner Kehle, ehe er zusammensackte.
In dem Moment, in dem der Schmerz seinen Höhepunkt erreicht hatte, wich die Kälte ebenso schnell, wie sie gekommen war. Ein benebeltes Bewusstsein kehrte ein, und die Welt stand ihm wieder in gewohnter Schwere gegenüber. Asgrim und Quaz’Ra stürzten vor, legten behutsame Hände auf seine Schultern und tasteten nach einem sicheren Puls.
Nur Grimbald, den Hammer in der Hand, wirkte unruhig und ungeduldig. Mit wütendem Klirren ließ er das Eisen erklingen und murmelte, dass dieser verdammte Ort für alles Übel verantwortlich sei und es ein Fehler gewesen sei, hier herabzusteigen.
Die Gruppe entschied, sich vorerst auf den Hof zurückzuziehen, um mögliche Hinweise ohne weitere Gefahren zu sammeln. Sie stiegen die knarrende Leiter hinauf und gelangten in den Hauptraum, in dem der Bauer weiterhin wirres Gemurmel von sich gab. Quaz’Ra schlug vor, die drei Krähen noch einmal aufzusuchen, denn gemäß dem Pergament schienen die Vögel mehr zu wissen, als sie in ihrem Rätsellaut offenbarten.
Vorsichtig näherten sich die Gefährten den Krähen, die reglos auf dem Dachfirst saßen. Doch abgesehen von ihrem wiederholten Ruf – Unten ist 1, oben ist 2, 3 hörst du nur Geschrei – gaben sie keine weiteren Zeichen von Erkenntnis preis.
Als Asgrim den Stab emporhob und Eirik mit beschwörender Geste auf das leuchtende Zeichen hinweisen wollte, erhoben sich die Vögel lautlos in den nächtlichen Himmel und entzogen sich ihrem Blick.
Anschließend näherten sich die Abenteurer dem Brunnen am Rand des Hofes. Dort bemerkten sie, dass die Rautenkerbung im Holzstab ein erneutes Aufflackern zeigte, genau so hell wie jene Stelle, die im Pergament beschrieben worden war. Dieses stille Leuchten bestätigte, dass sie dem Geheimnis einen Schritt nähergekommen waren.
Die Gefährten fielen in eine angeregte Debatte über das mystische Tor, das im vergilbten Pergament Erwähnung fand: Sollte es aufgestoßen oder besser verschlossen bleiben? Eirik spürte in seinem Inneren die dunkle Vorahnung, die ihn mit jedem Keuchen des Windes umschlang und ließ verlauten, dass sein Herz vor Unbehagen warnte. Thronde jedoch widersprach ihm mit ruhigem Ernst: Ein Zusammentreffen mit den Borons Boten, den Raben, müsse nicht zwangsläufig Unheil ankündigen, sondern könne ebenso als Gunst des Gottes interpretiert werden.
In diesem Augenblick versank Eirik in düstere Gedanken. Ein sanftes Pochen im Nacken ließ ihn überlegen, ob die Raben ihm nicht mehrmals begegneten, weil Boron selbst eine Forderung an ihn richten mochte – eine Bitte, verschleiert in den schwarzen Federn.
Die stillen Überlegungen wurde von Rotangs rauem Gelächter durchbrochen. Der Holzfäller erinnerte daran, dass im Pergament von einem Opfer die Rede gewesen sei, und scherzte, man könne den entrückten Bauern fragen, ob er sich selbst melden wolle.
Auch der Brunnen blieb unauffällig; seine spiegelnde Wasseroberfläche zeigte nichts als das fahle Mondlicht, das stumpf zurückschien. Schließlich einigten sich die Abenteurer darauf, den Keller erneut aufzusuchen. Mit festen Schritten verließen sie den Hof, die Fackeln hoch erhoben, um den verschlungenen Kreis der Holzkonstruktion unter ihnen ein zweites Mal ins Blickfeld zu rücken.
Einsam blieb Grimbald dicht bei der aufgerichteten Leiter stehen, sein Blick haftete nervös auf dem Spalt im Holz, um in der Not rasch empor steigen zu können. Im schwachen Schein der Fackeln schlug Eirik vor, die Reihenfolge der Symbole auszuprobieren, um zu sehen, welche Wirkung sie entfalteten. Er griff zum Pergament, die Worte noch in klarer Erinnerung, und trat an die erste Holzscheibe heran.
Mit ruhiger Hand drückte er die Spirale, deren sanftes Nachgeben ein leises Knarren auslöste. Danach legte er den Finger auf die kantige Raute, und ein mattes Klacken erzitterte durch den Raum. Schließlich folgte der Kreis, dessen glatte Kontur mit einem tiefen Klick in den Untergrund einzusinken schien.
Unvermittelt strömte ein helles Leuchten aus der Mitte des Kreises empor. Eine schwach schimmernde Glaskuppel erhob sich, ihr Licht wogte wie ein Herzschlag im dunklen Raum. Das Geräusch wuchs zu einem Grollen an, als der Boden unter ihren Stiefeln spürbar zu beben begann. Noch ehe das Zittern enden konnte, verschluckte die plötzliche Dunkelheit das flackernde Leuchten, und Stille kehrte zurück, so eindringlich, als habe sich der Raum selbst verschlossen.
Der Boden bebte und polterte unter ihren Stiefeln, ein dumpfes Krachen verkündete, dass jemand zu Fall gekommen war. Grimbald lag reglos auf dem Boden, sein schwerer Hammer neben sich, als hätte sie ihn verraten. Nur einen Herzschlag hielt die Stille, dann erhob sich wütendes Poltern aus seiner Kehle, durchzogen von einem tonlosen Fluchen darüber, dass etwas ihm die Füße kaltblütig weggezogen habe.
Ein gellender Schrei aus der oberen Etage riss die Gruppe aus der Erstarrung. Sie hasteten die knarrenden Dielen hinauf und folgten dem verzweifelten Laut in den Hauptraum, wo der Bauer nun leblos in seinem Bett lag, als sei das Herz aus Fleisch und Blut bereits vergangenen Zeiten anheimgefallen. Schweigend standen sie um das Opfer, während das fahle Mondlicht die Umrisse des Pergaments auf der bettenwarmen Decke tanzend nachzeichnete.
Kaum hatte die Erkenntnis sie erreicht, stürmte Grimbald aus dem Raum, getrieben von einem wilden Ekel vor der offenen Magie, die zu all dem Unheil geführt hatte. Er prallte gegen die schmale Holztür, deren Pilaster unter dem Tosen seiner Schritte ächzten, und brach in die kühle Nacht hinaus um seinen Unmut freien Lauf zu lassen. Stumme Blicke folgten ihm, ehe die übrigen Gefährten in die Dunkelheit traten. Ein Teil suchte den Brunnen auf, dessen tiefer Schacht ihnen bisher keine Antwort gegeben hatte, während der Rest der Gruppe dem rastlosen Zwerg auf dem engen Pfad zum Hof folgte. In der zitternden Luft lag die Frage, ob sie jemals das letzte Geheimnis dieser Nacht ergründen würden.
Ein jäher Schrei durchschnitt die nächtliche Stille, als Grimbald, vom Zorn getrieben, plötzlich wie ein wilder Bär auf Quaz’Ra zustürzte. Seinen Hammer schwang er, um den Achaz zu Fall zu bringen, jeder Muskel in seinem gedrungenen Körper spannte sich zur tödlichen Entladung.
Doch Quaz’Ra reagierte blitzschnell: Mit einer kraftvollen Drehung entging er dem Hammer nur um Haaresbreite. Ein knirschender Laut von zersplittertem Holz zerriss die Luft, als der massive Zwergenhammer gegen den hölzernen Zaun krachte und die Latten in splitternde Fetzen zertrümmerte. Der dumpfe Aufprall hallte über den Hof, während die Nachtwolken das Mondlicht verdüsterten und der Wind das Klirren von Holzsplittern davontrug.
In diesem Moment schien die Welt den Atem anzuhalten. Grimbald stand reglos da, den Hammer noch erhoben, als sei er aus purer Raserei in einen Schatten seiner selbst verwandelt. Quaz’Ra spannte seinen muskulösen Schweif, während Eirik und Asgrim, alarmiert von dem entsetzlichen Getöse, herbeieilten. Die kalte Luft vibrierte vor aufgestauter Spannung, selbst die krausen Federn der Krähen auf der Scheune bebten im fahlen Licht des aufgehenden Sturms.
Instinktiv wandte Eirik sich dem rasenden Zwerg zu, seine Waffe erhoben, doch Grimbalds Schlag erwischte ihn mit unbarmherziger Wucht an seinem Helm. Ein donnernder Schmerz riss ihn aus dem Entsetzen, und er stürzte hart auf den feuchten Erdboden. Ein eisiges Flüstern zog durch die Luft, als Thronde sich leise in eine uralte Beschwörungsformel vertiefte, seine Worte kaum mehr als ein hauchendes Murmeln im Rauschen des Windes.
Kaum hatte Asgrim den brüllenden Zwerg gepackt und mit drückender Kraft zu Boden gezwungen, zog Rotang heran und warf sich über Grimbalds massigen Leib. Splitterndes Holz unter den Stiefeln ließ den Ton ihrer Hast erklingen, während der Zwerg in wirren Beleidigungen auf Asgrim niederhakte, bis Thronde mit fester Stimme den letzten Vers seiner Bannung sprach. Ein gleißendes Flimmern umgab den zornigen Mitstreiter auf dem Boden, mit einem ächzenden Seufzer versank Grimbald in einer ungewöhnlichen Ruhe.
Schwarzer Rauch sickerte aus seinen Lippen und kringelte sich wie ein ätzender Nebel empor, bevor er sich in der Dunkelheit verlor. Eirik, das Pochen in seiner Schläfe nachhallend, kniete hinab und klopfte dem abwesenden Zwerg beherzt auf die Backen. Mit leichter Verzögerung glitten dessen Lider auf.
Quaz’Ra, der sich unmerklich zurückgezogen hatte, trat näher und fragte mit gespannter Miene, welch Worte der Geweihte gesprochen habe. Thronde neigte den Kopf, seine Augen spürten noch die Nachglut des Spruchs: Ein Segen des Ingerimm, so sagte er, um böse Geister zu verbannen. Eirik reichte Grimbald behutsam einen Schluck Wasser, dessen kühle Frische an Tau auf Winterblättern erinnerte, und die Gruppe atmete auf – während draußen der Frostwind durch die zerbrochenen Zaunlatten pfiff.
Ein schwerer Knall zerbrach die kurz verweilte Stille, als sich die wuchtige Holztür aufsprengte und der leblos wirkende Bauer in den Türrahmen taumelte. In seiner steifen Hand hielt er einen Dolch, und ein unverständliches Knurren entwich seinen bleichen Lippen, während sein leerer Blick die Gefährten fixierte.
Rotang stürzte sich als Erster vor, ließ die Axt mit wuchtigem Schwung gegen den Arm des Untoten niederfahren, doch die Klinge bohrte sich nur dumpf ins Fleisch, als wäre es dichter Nebel. Quaz’Ra und Asgrim folgten, Hieb auf Hieb, während Eirik mit erhobenem Schwert eine Bresche in die starrenden Glieder des Bauern schlagen wollte. Trotz zahlloser Angriffe wich der untote Wirt mit unheimlicher Gewandtheit zurück, sein Schritt schwer und doch unaufhaltsam. Und immer wieder erhob sich das bleiche Antlitz, als suche es nach dem letzten Lebenshauch, während Furcht und Entschlossenheit im Fackelschein verschmolzen.
Als der Bauer schließlich ins Wanken geriet, holte Eirik aus, die Klinge sank in einer einzigen, kraftvollen Bewegung durch Hals und Nacken des Untoten. Ein scharfer Klang von trennendem Stahl durchdrang die Nacht, der Kopf glitt von den Schultern. Der Körper schwankte schwer zur Seite und entließ einen vertrauten schwarzen Nebel, der sich lautlos in den Nachthimmel erhob—ein dunkles Abbild jenes Sieges über den Verfluchten.
Unter den knorrigen Ästen eines alten Eichenbaums, unweit des Hauses, hoben die Gefährten einen schmalen Grabhügel aus. Der frostige Boden widersetzte sich mit Rissen und knirschendem Kies, während sie das Grab sorgfältig vertieften. Schweigend senkten sie den leblosen Körper des Bauern in die Erde, das fahle Mondlicht schien über die feinen Umrisse seines Gesichts, bevor sie die frisch geworfene Erde behutsam darüber häuften.
Als die letzte Schaufel sich senkte, atmete Grimbald tief durch und ließ ein raues Schnaufen erklingen, das nach Zerstörung dürstete: Er wolle den verfluchten Hof in Flammen aufgehen sehen. Doch seine Worte stießen auf entschiedene Ablehnung. Gemeinsam hielten sie ihn davon ab, stattdessen einigten sie sich darauf, die Stadtwache über die schaurigen Vorgänge zu unterrichten.
In einem ruhigen Moment neben der offenen Grabstätte wandte sich Eirik an Quaz’Ra. Sein Blick suchte Bestätigung über dessen Wohlergehen, nachdem er vom ungestümen Zwerg überrascht worden war. Der Achaz nickte stumm – keinerlei Wunde trübte seinen Laib.
Die Entscheidung fiel, den Rückweg anzutreten und in die Sicherheit der Stadtmauern Nordhags zurückzukehren. Über weite, von Frost glitzernde Wege führte ihr Pfad gen Süden, bis nach zwei Stunden Wanderung die massiven Tore der Stadt vor ihnen auftauchten. Dort standen bereits die beiden Wachen, deren Präsenz sie schon beim Auszug aus der Stadt begleitet hatte.
Thronde trat vor die massiven Tore, verneigte sich leicht und legte den Wachen die Ereignisse auf dem Hof dar. Das Fackellicht spiegelte sich in den blanken Hellebarden, während dieselben Soldaten, die sie am Vortag in Furcht die Waffen hatten heben sehen, nun schweigend lauschten. Thronde schilderte die Trance des Bauers, das rätselhafte Pergament und die verstörenden Rituale im Keller, ließ jedoch die heikelsten Details verschwiegen, um nicht den vollen Umfang der Vorkommnisse preiszugeben.
Die Wachen nickten nur beiläufig, flüsterten untereinander und verabschiedeten die Reisenden mit knappen Gesten. Eirik, dem die gleichgültige Art der Soldaten seltsam vorkam, rückte vor und forderte in entschlossenem Ton eine gründlichere Untersuchung. Seine Stimme hallte zwischen den Steinmauern, doch die Männer schüttelten nur dienstlich die Köpfe. Eirik insistierte weiterhin und drohte mit seiner spitzen Zunge, dem Vorseher am nächsten Tage einen Besuch zu abzustatten.
In einem unverhofften Moment reichte einer der Wachen Eirik ein kleines Ledersäckchen, dicht gefüllt mit kühlen Münzen, und deutete an, dass es besser sei, sich in der Stadt zu vergnügen, als weiter Befragungen anzustellen. Das Angebot trug die Schwere einer stillen Vereinbarung, untermalt von einem Hauch von Drohgebärden.
Mit schelmischem Grinsen ließ Eirik das Säckchen in der Hand rotieren, warf es leicht in die Luft und fing es auf, während er seinen Dank in einem heiteren Ton anbrachte, der mehr schlaues Kalkül verriet als Dankbarkeit. Anschließend wandte er sich zu seinen Gefährten, nickte zum Abschied und führte die Gruppe in die warmen Gassen der Stadt. Die Fackeln an den Wachtürmen flackerten hinter ihnen, als sie zur Taverne hinunterstiegen, bereit, in gastlicher Wärme das Erlebte in Met und Bier zu ertränken.
Die Schwelle der Taverne ragte wie ein heimlicher Zufluchtsort aus dunklem Stein empor, und im flackernden Schein der Öllampen trat der Wirt mit einem warmen Lächeln hervor. Mühelos balancierte er volle Krüge auf dem Unterarm und stellte sie mit dezentem Klirren auf den Tresen. Eirik aber entschied, seinem erschöpften Gefolge eine Freude zu bereiten: Mit einem raschen Griff nahm er das Ledersäckchen, welches er den Wachen abschwatzen konnte und warf es dem Wirt zu, der die Münzen in dankvoller Geste entgegennahm. Noch ehe die Abenteurer Platz nehmen konnten, füllte der Schankwirt prächtig beladen Tabletts mit knusprigem Brot, gedünstetem Gemüse und dampfendem Wildbraten.
Am größten Tisch fanden Eirik, Asgrim und Quaz’Ra Platz, die Fackelreste auf dem Boden verlöschend. In der Nähe – am Tisch nebenan – sammelten sich Thronde, Grimbald und Rotang, deren Gesichter im goldenen Licht gedämpfter Flammen sanfte Schatten warfen. Als der Wirt mit prall gefülltem Tablett zurückkehrte, strich er über das Holz des Tresens und verteilte Schalen randvoll mit Eintopf, Krüge mit bernsteinfarbenem Gerstensaft und hölzerne Teller mit Käse und Trockenfleisch.
Eirik nahm seinen Becher, hob ihn mit gerader Haltung und neigte das Gefäß in Richtung seiner Gefährten – ein stummes Zeugnis ihrer Gemeinschaft. Quaz’Ra klirrte seinen Becher mit einem leisen Klang gegen Eiriks, dabei aber so behutsam, dass kein Trunk das Antlitz seines Gegenübers störte.
Nachdem das üppige Mahl verputzt und die letzten Humpen geleert waren, verweilte Eirik mit geübtem Blick auf Quaz’Ra. Etwas Last lag im schuppigen Blick der Echse, als habe er ein verborgenes Leid mitgebracht. Eirik neigte den Kopf und öffnete sein Visier in Gänze. In der gedämpften Stille öffnete Quaz’Ra sein Herz und bot an, die Geschichte, die ihn mit dem Blauen Ork verband, preiszugeben – ein Versprechen, das wie ein Schlüssel klang und das nächste Kapitel ihrer gemeinsamen Reise einleiten sollte.
Eirik hatte schon lange im Verborgenen Theorien über den rätselhaften Blauen Ork und dessen Verbindung zu Quaz’Ra gesponnen, und so nahm er das Angebot, mehr zu erfahren, ohne zu zögern an. Doch nichts hatte ihn auf das vorbereitet, was nun folgte.
Die Taverne versank in ehrfürchtiges Schweigen, als Quaz’Ra mit fester Stimme begann, jenem verhängnisvollen Morgen nachzuspüren. Er sprach von einer Horde fremder Krieger, die wie ein reißender Fluss in sein Heimatdorf eingefallen war. Unter ihnen hatte der Blaue Ork gewirkt: Ein Krieger von unheimlicher Gestalt und noch unheimlicherer Kälte. Die Dorfbewohner hatten sich tapfer erhoben, doch gegen die brutale Übermacht waren sie chancenlos. Quaz’Ra schilderte, wie er selbst kurz davor gewesen war, dem Hieb eines Orks zum Opfer zu fallen, als der Blaue unerbittlich das Leben seiner Brutschwester ausgelöscht hatte – ein Akt von solcher Brutalität, dass kein Laut der Verzweiflung ihr entgegenschlug, während sie fiel.
Zeit und Raum schienen in jenem Moment zu zerfließen. Quaz’Ra erinnerte sich an die Stille, die folgte, als er unter den Trümmern wieder zu sich kam. Jeder Baumstamm, jede zerschmetterte Wand lag wie ein stummer Zeuge der Verwüstung. Keiner der Bewohner hatte den Brand überlebt; selbst die leblosen Körper waren entweiht worden, als seien sie Opfer eines makabren Rituals.
Allein die Erinnerung an den Geruch von Rauch, Blut und verbranntem Holz hielt ihn am Leben. Ein unstillbares Feuer der Rache hatte sich in seiner Brust entzündet, stärker als jede Verzweiflung. Dort, in der Asche seiner Heimat, hatte sich sein Schwur geformt: Der Blaue Ork würde büßen für das Leid, das er gebracht hatte.
Wortlos erhob sich Quaz’Ra, als seine Erzählung endete. Sein Blick haftete auf dem Kamin, in dem die letzten Flammen müde züngelten. Die tanzenden Glutfunken spiegelten den unerschütterlichen Willen in seinen Augen, und Eirik wusste, dass dieses gestochen scharfe Versprechen ihn und seinen Gefährten auf gnadenlosen Pfad führen würde.
Eirik richtete sich stumm auf und ließ sich neben den erschöpften Quaz’Ra nieder, dessen Blick noch immer in die letzten Zungenflammen des Kamins gebannt war. Ein schweres Mitgefühl legte sich in Eiriks Brust, denn obwohl er die Familie des Achaz nie gekannt hatte, erkannte er in dessen Verlust das Echo seiner eigenen Wunden. In einer Geste tiefen Respekts glitt seine Hand zum Helmbügel, löste die Riemen und hob das schwere Eisen ab – eine Tat, die er seit dem Tag, an dem seine Mutter starb, nicht mehr gewagt hatte. Nun lag sein Helm wie ein stiller Zeuge vor ihm, während sein Haupt ungeschützt blieb.
In dem milden Schein des Kaminfeuers legte Eirik seine freie Hand sanft auf Quaz’Ras Schulter. Sein Blick verharrte in den traurigen Augen des Achaz, und in seinem Schweigen lag das unwiderrufliche Versprechen: Solange seine Muskeln stark und seine Beine gehorsam waren, würde er an der Seite seines neuen Waffenbruders stehen und den Blauen Ork zu Fall bringen, ein Schwur der Treue.
Langsam gesellten sich die anderen Gefährten an den Rand des flackernden Feuers. In der leisen Runde klang das Knistern der letzten Glut wie ein Schwur, der sie alle verband, während die Schatten der Nacht geduldig lauschten.
Nach einer Weile erhob sich Quaz’Ra und schenkte mit zittriger Hand die Krüge erneut randvoll. Asgrim hatte unterdessen ein neues Fass herbeigeschafft, dessen kühler und doch würziger Duft den Raum erfüllte. Ein dröhnendes Gelächter ertönte, als die Abenteurer ihre Becher schwangen, den süßlich-herben Hauch von Malz im Halse und die Wärme des Feuers im Rücken.
Doch die ausgelassene Stimmung währte nur einen Augenblick. Quaz’Ra erstarrte, sein Blick wurde glasig, und plötzlich entlud sich sein Magen mit lautem Plätschern über die Bretter des Tisches. Verwundertes Schweigen folgte, ehe ein gedämpftes Schmunzeln ausbrach, als Thronde hastig die Flecken von seinem Gewand wischte – der Einzige, der von dem Malheur der Echse betroffen war.
Rotang packte ohne ein Wort die schlurfende Echse auf seine breiten Schultern und verschwand im Zwielicht der Treppe in Richtung der Schlafgemächer. Schweigend folgten ihm die übrigen Gefährten, ließen das flackernde Fackellicht erlöschen und spürten das schwere Ächzen der Dielen unter ihren Schritten.
Unter dem fahlen Schein des Mondes fanden sie ihre Schlafstätten, der würzige Duft von Harz und altem Holz legte sich wie ein versprechender Schleier um sie.
Doch Schlaf blieb Eirik versagt. Unablässig kehrten seine Gedanken zu den schwarzen Raben zurück, zum stummen Raunen des toten Bauers und zum dunklen Nebel, der wie ein letzter Atem aus dem Leichnam entwich, als ihn die kalte Klinge Eiriks traf.
Fragen brannten in seiner Brust: Hatte ihr Eingreifen die Qualen des Bauern beendet, oder war sein Schicksal in jenem düsteren Kreis unausweichlich besiegelt? War es gar Eiriks Schuld, der das Rätsel des Kellers um jeden Preis lösen wollte?
Eine tiefe Stille legte sich über das schlafende Gasthaus. Nur das leise Knarren der Dielen im Wind und Eiriks unruhiges Atmen durchbrachen die Nacht, während die Stille ankündigte, dass am kommenden Morgen ein neues Abenteuer auf sie wartete.