Die Frostmann-Saga Teil 7.2: Von Spuren und Sackgassen
Nach einer langen Nacht in den tiefen Kissen und unter den wärmenden Decken der Taverne regten sich Eirik und Asgrim erst, als die bleichen Strahlen der Morgensonne durch das vereiste Fenster sickerte. Ein kalter Hauch ließ feine Kristalle im Licht flimmern, während drinnen die Luft noch schwer von der Glut des Kaminfeuers und dem Duft von getrocknetem Heidekraut war.
Behutsam richteten sie ihre verschlafenen Glieder und legten mit flinken Handgriffen die vertraut schwere Ausrüstung an. Eiriks Gedanken wirbelten, als er durch das Visier seines verbeulten Helmes zum vereisten Fenster hinausblickte: Konnte sein Glück ihn auch heute schützen? Neben ihm spürte er Asgrims ruhige Entschlossenheit, die jeder Bewegung eine unerschütterliche Sicherheit verlieh.
Nach einer stillen Stärkung mit dampfendem Brei sammelte sich die Gruppe vor der knarrenden Eichentür. Erlgard Hohenwald, die Kommandantin mit der starken Aura, hatte in der Stallung des Gasthauses bereits die Pferde untergebracht, denn sie konnte am Vorabend nicht lange verweilen. Die Tiere schnaubten im kalten Morgenlicht, bereit in Richtung Osten aufzubrechen.
Auf dem ersten Abschnitt ihres Ritts nach Osten glitt der Weg durch dünne Birkenhaine, deren Äste sich von Raureif stumm beugten. Immer wieder zogen sie an vereinzelten Fuhrwerken vorbei, begegneten sie Reisenden und Bauern, doch niemand hatte den Drachen selbst gesehen, lediglich vage Gerüchte von fernem Grollen, vereinzelten Rauchwolken am Horizont oder die Zerstörung Nordhags waren im Umlauf.
Eiriks Gedanken wirbelten: Würde das Schicksal ihn auch diesmal auf die Probe stellen?
Hinter einer Anhöhe offenbarte sich der Anblick von Nordhag: Zinnenragende Mauern aus mit Moos bedecktem Stein, flankiert von kräftigen Türmen, hinter denen die Burg stolz thronte. Die Felder, weit und still, lagen unter dem blauen Himmelszelt und gaben keinen Hinweis auf Feuer oder Zerstörung preis. Nur die Auen glänzten feucht im fahlen Licht.
Die Gruppe ließ die Pferde kurz anhalten, um die klare Morgenluft einzuatmen. In Eiriks Blick mischte sich Erleichterung mit einer leisen Unruhe: Waren die Gerüchte nur ein Trugbild, oder lauerten die Schatten des Drachen erst jenseits der Mauern?
Ohne ein Wort zu verlieren, folgte die Gruppe dem gewundenen Pfad hinab zum Haupttor. Sie suchten den Ort auf, an dem man die Welt am besten verstehen konnte – die große Taverne im Herzen von Nordhag – und hofften, dort den ersten Faden zur Wahrheit um den Drachen des Ostens zu finden.
Die Abenteurer verteilten sich an den grob behauenen Eichentischen der Taverne. Quaz’Ra nahm seinen Platz dicht gedrängt neben den Thorwalern ein, während Rotang, Gwynwen, Ludwig und Grimbald am Nachbartisch Platz fanden.
Als die erste Runde dunklen Bieres vor ihnen stand, hob Eirik seinen Krug und richtete ihn in die Höhe, Quaz’Ra saß ihm gegenüber. Der Achaz schien sich an die Lektion in Nordwall zu erinnern und führte den Becher an den Rand des Thorwalerkrugs, doch die ungewohnte Feinfühligkeit ließ sie zu fest zustoßen. Eine Welle brach über Eiriks Gesicht hinein, das zum Trinken geöffnete Visier bat ihm keinen Schutz. Der schäumende Gerstensaft benetzte Stirn und Wangen, von der Spitze des Visiers tropfte es ihm in den Schoß.
Eiriks Augen verengten sich überrascht, während er sich rasch den Schaum vom Gesicht wischte. Schweigend wartete er ab, nach einem Augenblick löste sich eine leichte Bewegung an seinen Mundwinkeln – ein leises Lachen, das im Holzknarren der Stühle nachhallte. Er hob erneut den Krug, nickte Quaz’Ra zu und trank.
Sein Gegenüber atmete hörbar erleichtert aus und nahm einen Schluck aus seinem nun halb gefüllten Becher. Ein zufriedenes Nicken von Eirik folgte, dann trank die Gruppe einen weiteren Schluck – das Muster des Anstoßens schien allmählig gemeistert.
Nachdem die Krüge geleert waren, erhob sich Eirik und schritt zum Wirt, dessen Gesicht im lampenlosen Halbdunkel kaum zu erkennen war. Mit ruhiger Stimme erkundigte er sich nach Neuigkeiten über den Drachen des Ostens, während das warme Licht der Öllampen Schatten in den alten Holzbalken tanzen ließ.
Asgrim spürte das gedämpfte Stimmengewirr der Taverne, als eine hochgewachsene Frau mit feuerrotem Haar lautlos zu Gwynwens Tisch glitt. Nur das leise Rascheln ihres Gewandes verriet ihre Annäherung, Worte gingen im Gedränge der Gäste verloren. Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie Gwynwen sich vorbeugte und ein filigranes Amulett in ihre Hand gelegt bekam. Ein kurzer Blick der Fremden glitt zu Grimbald, gefolgt von ein paar Worten. Dann verschwand sie durch die Tür ins helle Mittagslicht hinaus.
Eirik stand noch am Tresen, hatte gerade beim Wirt nach Neuigkeiten gefragt, als er die Bewegungen am Nachbartisch bemerkte. Mit entschlossenen Schritten trat er heran, während Asgrims Blicke ihm folgten.
Gwynwen ließ das Amulett mit einer fließenden Geste im Schein der Lampen tanzen. Eirik betrachtete das Amulett. Die fremde Hexe namens Gwynna habe Gwynwen schon lange beobachtet und wollte ihr dieses magische Schmuckstück für eine Weile anvertrauen, es soll der Gruppe in Zukunft wichtige Dienste erweisen. Ein letzter Wink galt Grimbald, der in den Tiefen der Zwergenbinge nach besonderen Armschienen suchen solle, wenn der richtige Moment anbreche.
Rotang hob seinen Krug Met, als wolle er die ernste Botschaft mit heiterem Spott brechen. Eirik zog die Mundwinkel zu einem warmen Lächeln hoch, spürte, wie sich in dem klaren Mittagslicht neue Entschlossenheit formte. Gemeinsam scherzten die Beiden noch unter Augenrollen der Anderen über die besonders schöne und präsente Aura der Fremden.
Während Eirik am Nachbartisch in geselliger Runde den Met genoss, schlurfte eine bucklige Gestalt in feinem Zwirn zu Asgrim, Thronde und Quaz’Ra heran. Nach einem knappen Gruß luden die Thorwaler ihn an ihren Tisch ein, woraufhin er sich als Ruwit Kupferstich vorstellte, stadtbekannter Alchemist.
Da Ruwit Eirik zuvor die Tavernenbesucher hatte befragen hören, wusste er um die Drachenjagd der Abenteurer. Mit gedämpfter Stimme bot er an, die Helden für jeden geborgenen Teil des Ungetüms reichlich zu entlohnen. Ein zustimmendes, wenn auch vorsichtiges Nicken wanderte durch die Runde, als sie das Angebot mit leichter Skepsis annahmen. Die Augen des Alchemisten blitzten auf.
Nachdem Eirik seinen letzten Krug geleert hatte, ließ er dem Wirt ein paar Münzen zukommen und bat ihn, bei Gelegenheit neue Nachrichten über den Drachen einzuholen. Mehr als die üblichen, müden Gerüchte konnte der Tavernenwirt nicht liefern. Jedoch versicherte er, dass er sich weiter umhören wolle.
Im warmen Licht der Nachmittagssonne verließen die Gefährten die Taverne und strömten auf den geschäftigen Marktplatz, wo bunte Planen im leichten Wind flatterten und das Stimmengewirr von Händlern und Bauern wie ein sanftes Lied über die Köpfe zog. Eirik spürte ein ungewohntes Wohlbehagen im Kreis seiner Kameraden, auch wenn die Sorgen um die schmale Reisekasse noch immer leise an seinem Gemüt nagten.
Am auffälligsten wandelte Quaz’Ra durch die Menge: Ohne seine gewohnte Vermummung ließ er den Umhang offen über die Schultern sinken, und die filigranen Spitzen seines Hautkamms fingen das Licht wie geschliffene Kristalle ein. Ein seltener Anblick, der in Eirik stille Bewunderung auslöste, denn sonst hüllte sich der Achaz in Schweigen und Schatten. Heute aber wirkte es so, als würde er sich keine weiteren Gedanken um Unsichtbarkeit machen, die Wärme auf den Schuppen schien er besonders zu genießen.
Während Eirik fasziniert auf Quaz’Ra blickte, verloren sich die Anderen in angeregten Gesprächen mit den Standbetreibern. Die Berichte wiederholten sich: Ein Bauer, den jeder nur „Dorftrottel“ nannte, habe jüngst wirre Geschichten vom Drachen erzählt – das Vieh sei auf seinem Gehöft im Norden gerissen worden, doch niemand schenkte den Anekdoten Glauben. Wie sie sagten, sei er eine Person von geringer Intelligenz und großem Hang zu flüssiger Nahrung, der immer wieder Dinge von sich geben würde, die man nicht für bare Münze nehmen könne.
Die Gruppe schlug sich durch die Straßen, vorbei an steinernen Fachwerkhäusern, bis sie zu einer kleinen Werkstatt gelangte, deren schwere Eichentür mit eisernen Riegeln vernietet war. Ein älterer Herr in lederner Schürze hatte den Geschichten der Abenteurer zuerst mit finsterer Miene gelauscht. Schließlich deutete er mit einem knorrigen Finger auf die hohen Mauern im Osten und erzählte, dass dort, jenseits eines zweistündigen Marsches, ein Gasthof stünde, den man verflucht nannte: ein seit 30 Zyklen verlassener Bau, um den sich diverse Geschichten rankten.
Sie nickten und setzten ihren Weg fort, doch der Tag brachte keine stichfesten Beweise für einen Drachen. So entschlossen sie sich, mit den gesammelten Informationen zur gewaltigen Bastion der Stadt zu ziehen, um dort nach Informationen zu fragen.
Vor dem Torbogen, dessen steinerne Zinnen in schroffer Reihe aufragten, standen zwei Wachen in Kettenhemden. Ohne zu zögern, stapfte der gut gelaunte Achaz über das Pflaster, um den Soldaten sein Anliegen vorzutragen.
Anstatt einer freundlichen Begrüßung griffen die Wachen jedoch erschrocken nach ihren Hellebarden, die Klingen klirrten in hastiger Panik – offenbar waren sie noch nie einem Achaz begegnet.
Asgrim und Eirik, die dicht hinter ihrem Gefährten standen, traten einen Schritt vor und boten stumm mit ernster Miene Schutz. Thronde machte einen ruhigen Schritt nach vorn und ließ seine Stimme wie ruhiges Wasser klingen, um das Gespräch von Quaz’Ra auf die wichtigen Dinge zu lenken.
Die Wachen warfen Quaz’Ra skeptische Blicke zu, ließen sich die Drachen-Gerüchte erzählen und taten sie dann lachend als Hirngespinst ab. Erst unter hartnäckigem Nachfragen zeigte einer von ihnen auf den nördlichen Weg und beschrieb, wie man zum Hof des Dorftrottels gelangte, auch wenn sie der festen Überzeugung waren, dass die Gruppe nur ihre Zeit verschwenden würde.
Dankbar verabschiedeten sich die Gefährten, machten kehrt und ließen das massive Tor hinter sich.
Ludwig und Gwynwen, die noch letzte Vorräte auf dem Markt kaufen wollten, trennten sich hier von der Gruppe. Vielleicht könnten sie ja auch noch etwas über das Amulett der fremden Elbe herausfinden?
So machten sich die Thorwaler, der Holzfäller, der Zwerg und der Achaz unter den letzten Sonnenstrahlen auf den Weg nach Norden, um den Hof des Dorfnarren genauer in Augenschein zu nehmen…