20.Tag im Praiosmond, 1040 nach Bosparans Fall, Früher Morgen
Am frühen Morgen klopft es plötzlich laut an allen Zimmern der Gaststätte. Der Zwergenhändler rannte wie besessen von Tür zu Tür und grölte laut “Binge Binge… Ihr müsst früh los… Binge Binge Binge…” Tronde und Rotang stimmten voller Vorfreude in die Rufe ein. In Windeseile war die Gesellschaft von gestern, noch immer durch das Bier beflügelt, aufbruchbereit im Gastraum der Taverne. Auch Gwynwen, Eirik und Quaz’Ra gesellten sich bald zu ihnen.
Gestern wurde der Entschluss gefasst, zur Zwergenbinge zu reisen, um den Ring des Händlers zu bergen. Während Karren und Pferde mit der benötigten Ausrüstung beladen wurden und der Händer ihnen den Weg zum Binge auf der Karte zeigte. Begleitete Tronde Eirik zum Friedhof. Am Grab des Bruders sprachen sie gemeinsam den Grabsegen, um Asgrims letzte Ruhestätte vor Schaden zu bewahren.
Die kleine Karawane wartete bereits auf sie, als sie einige Zeit später in die Taverne zurückkehrten. Die Abenteurer brachen nun auf, gen Norden, die Zwergenbinge zu erkunden. Der Regen des Vortags war verflogen, und die mittägliche Sonne blitzte hinter den Wolken hervor. Der Tross schob sich gemächlich auf einem wenig befestigten Weg durch Felder und lichte Wäldchen. Die Zwerge hatten es sich auf dem Karren bequem gemacht, hinter ihnen ritten Rotang, Tronde und Ludwig. Gwynwen und Quaz’Ra ritten einige Schritt vor dem Wagen, während Eirik etwa zwanzig Schritt vor ihnen die Einsamkeit vorzog.
Gwynwen und Quaz’Ra unterhielten sich über Eiriks Verhalten am Vortag, mit den anderen hatten sie noch nicht über das Erlebte gesprochen und entschlossen sich zuerst mit Eirik zu ergründen, was es mit den Worten auf sich hatte. Sie schlossen zügig auf und ritten neben Eirik her, Gwynwen Rechts wo Somnus der Rabe auf Eiriks Schulter saß und der Achaz zu seiner Linken. Während sie versuchten, mehr von Eirik zu erfahren. Über welchen Weg er gesprochen habe und von was für eine Art Kreatur. Er erwiderte nur kühl, dass sie sich bereits auf dem Weg befänden den er gesehen habe. Quaz’Ra hinterfrage ihn, ob er sich vielleicht nur an eine Begebenheit erinnerte, von der er ihnen nach ihrem ersten Treffen bereits erzählt hatte.
Sie ritten gerade durch einen Buchenwald, kaum hatte der Achaz seine Zweifel ausgesprochen, schwang sich Somnus wild flatternd in die Lüfte. Ein Schatten schob sich plötzlich vor die Sonne. Sie schauten auf und erblickten einen Drachen, der weit über ihnen lautlos durch den Himmel glitt. Erschrocken kauerte sich Quaz’Ra auf sein Pferd. Eirik entgegnete selbstsicher, ob sie ihm jetzt glauben würden.
So plötzlich wie der Drache aufgetaucht war, verschwand er auch schon bald aus ihrer Sicht. Nur Gwynwen konnte durch das Unterholz erspähen, wie die Kreatur am Bergesrand vor ihnen ein grasendes Rindvieh ergriff und davon trug. Quaz’Ra erinnerte sich an Eiriks Worte “ der Wald, ein Schatten", hatte er wirklich die nahe Zukunft vorhergesagt, war die Tür im Berg die Zwergenbinge, zu der sie unterwegs waren? Was würde dann der Rauch bedeuten? Er wollte in die Stadt zurückkehren und der Wache von ihrer Begegnung berichten, doch die Gruppe war entschlossen, zuerst die Binge zu erkunden.
Am Abend machten sie an einem Waldrand rast, Eirik übernahm die erste Wach und hielt nach seinem Raben Ausschau, der sich allerdings noch nicht zeigte. Auch die zweite Wache von Quaz’Ra und die dritte von Tronde verliefen ereignislos. Erst am Morgen kehrte Somnus zurück und erwartete das Erwachen von Eirik. In den folgenden zwei Tagen kamen sie gut voran. Eirik leitete sie an, als ob er den Weg bereits beschritten hätte.
22.Tag im Praiosmond, 1040 nach Bosparans Fall, früher Mittag
Am 22. Praios erreichten sie den Gebirgsrand, den ihnen der Händler auf der Karte markiert hatte. Sie ließen das Gespann und die Pferde am Wegesrand zurück und Eirik leitete sie einige Schritte durch das dichte Unterholz. Als der Wald sich lichtete, lag vor ihnen, was vor vielen Jahren wohl ein prunkvoller Eingang zur Zwergenbinge gewesen sein mochte. Das Große Portal war eingestürzt und riesige Felsbrocken versperrten den Zugang. Grimbald und Quaz’Ra untersuchten die Trümmer, ob ein Spalt vielleicht doch noch Zugang gewähren mochte, doch ihre Suche war vergebens. Wochen harter Arbeit wären nötig, den Zugang wieder zu öffnen, falls sie den Trümmern überhaupt Herr werden könnten.
Eirik folgte seinem Gespür und wanderte Richtung Osten am Massiv entlang. Grim und Ludwig hatten sich bereits in dieselbe Richtung aufgemacht. Wieder erhob sich der Somnus in die Lüfte, als ob Eirik aus den Augen des Raben sehen würde, erkannte er an der Ostflanke des Berges die Tür, die er schon vor drei Tagen erkannt hatte, und auch Grim konnte er dort erkennen. Er rief seine Gefährten zu sich und wies ihnen erneut den Weg. Hinter einem unscheinbaren Busch verbarg sich eine Kluft im Fels. An ihrem hinteren Ende erspähte Grim kaum sichtbare Linien im Fels, die auf die Tür hindeuteten. Eirik bejahte Gwynwens Frage, ob dies die Tür aus seiner Vision sei. Gwynwen schickte die Zwerge an den Zugang zu öffnen, immerhin waren sie Teil der Angrosch, die diese Feste erschaffen hatten. Doch Grimbald stand ratlos vor dem Fels und auch Grim kratzte sich grübeln am Bart und später am Gesäß. Gemeinsam suchten die Zwerge vergebens nach einem Weg, die Tür zu öffnen. Die Gemeinsamen Macht von Rotang Tronde und den Zwergen vermochte es lediglich den Fels um den zehnten Teil einer Fingerbreite zu bewegen bis Quaz’Ra mit der schmiedeeiserne Brechstange vom Wagen zurückkehrte und sie Rotang reichte. Schnell wurde ein Spalt gefunden, in dem sie das Werkzeug einsetzten konnten. Mit aller Kraft stemmten sich die Zwerge, Rotang und Tronde gegen die Brechstange, diese ächzte unter der Last und drohte zu brechen, als sich die feinen Linien zu einem kleinen Spalt öffneten. Sie hatten den Seiteneingang zur Binge gefunden. Sie setzten erneut an, aus dem Inneren des Berges hörten sie, wie mit einem Krachen die Verriegelung nachgab. Grim hatte das Geräusch vernommen und mit leichtem Druck öffnete sich die Tür wie von selbst. Sie blickten in einen finsteren Gang, der gerade einmal anderthalb Schritt hoch und etwas mehr als einen halben Schritt breit, selbst für einen Zwerg sehr beengt. Kurz nach der Tür führte eine steile Treppe hinab ins Innere des Berges. Grimbalds Augen gewohnten sich schnell an das spärliche Licht, das bald von der Nacht des Berges verschluckt wurde. Für ihn reichte es, sich in dem Gang zurechtzufinden. Auch Grim schien die Dunkelheit wenig zu schrecken, denn er verschwand noch vor Grimbald einige Schritte weit im Gang.
Quaz’Ra bat Tronde eine Fackel an seiner Laterne des ewigen Feuers zu entzünden und reichte sie unter Protest von Grimbald an Grim weiter. Quaz’Ra schickte sich weiter Fackeln vom Wagen zu holen. Tief geduckt leuchtete Tronde mit der Laterne vor sich und folgte den Zwergen ins dunkel. Auch Rotang quetschte sich in den viel zu niedrigen Durchgang. Gwynwen, Ludwig und Eirik warteten, bis Quaz’Ra mit frischen Fackeln vom Wagen zurückgekehrt war. Gerade als sie die Fackeln entzündet hatten, schlug ihnen eine Staubwolke aus dem Tunnel entgegen. Steine hatten sich von der Decke gelöst und sind auf die vier im Gang nieder geprasselt. Zuvor hatte Grimbald eine Falle erkannt und Grim vor ihm im letzten Moment warnen können. Dieser hatte daraufhin versucht, die Falle zu entschärfen. Angestrengt untersuchte er den Mechanismus vor ihm. Unbemerkt war etwas Staub von der Decke herab gerieselt, kitzelte den Zwerg in der Nase und mit einem kräftigen Nießer hatte er die Falle ausgelöst.
Bis auf einige leichte Blessuren war niemand ernsthaft verletzt worden. Vorsichtig tasteten sie sich weiter vor, bis sich der schmale Gang in eine Halle öffnete. Nun verschwanden auch Ludwig und Eirik im Dunkel der Binge, um auf die anderen aufzuschließen, Gwynwen stieg nur widerwillig in den Berg hinab, Quaz’Ra bildete den Abschluss. Bald standen sie am Ende des Durchgangs, nur langsam konnten sie die Ausmaße der Halle erahnen. Die Staubschwaden legten sich allmählich und das schwache Licht der Fackeln drang weiter vor. Der Raum war in einem Schachbrettmuster mit großen abwechselnd weißen und schwarzen Marmorplatten ausgelegt. In einem Oval ragten massive, reich verzierte Steinsäulen in die Höhe und verschwanden in der Dunkelheit, die Decke vermochten sie nur zu erahnen. Inmitten der riesigen Halle konnte Grimbald eine schemenhafte Silhouette ausmachen. Vorsichtig tasteten sich Grimbald und Grim in Richtung der schemenhaften Gestalt. Rotang und Eirik tasteten sich an der nördlichen Wand entlang und stießen auf ein verfallenes Mosaik. Eirik erkannte in dem Mosaik einen Zwergenherrscher, dessen Krone mit Robiensplittern verziert war. Vorsichtig näherte sich der junge Thorwaler den Rubinen, die er problemlos ansichnehmen konnte, einige steckte er dem Holzfäller zu, die restlichen verschwanden in seinem Beutel. Grim und Tronde näherten sich forsch der Silhouette, Grimbald blieb zögerlich zurück. Als das Licht ihrer Fackel auf die Scheme fällt, erkannten sie die überlebensgroße Abbildung eines gekrönten Zwerges, die auf einem mehr als zwei Schritt hohen Marmorsockel thronte.
Quaz’Ra und Gwynwen waren in der Zwischenzeit oberhalb nach Westen durch die Halle gegangen und befanden sich auf halbem Weg zwischen Eirik und der Statue. Zielstrebig eilte Eirik auf Quaz’Ra zu, um ihm seinen Fund zu zeigen, doch beim letzten Schritt gab die Bodenplatten vor dem Achaz fast unmerklich nach. Ein schrilles Zischen ertönte,nach einem dumpfen Schlag sackte der junge Thorwaler stöhnend vor Quaz’Ra auf die Knie. Die Echse beugte sich zu Eirik und fand in seiner Seite einen Bolzen, der sich durch die Lederrüstung tief ins Fleisch gebohrt hatte. Quaz’Ra warnte die Anderen vor den Fallen im Raum, während Gwynwen den Bolzen vorsichtig entfernte und mit ihrer Magie die Wunde verschloss.
Grim und Tronde waren bis zur Statue vorgedrungen. Er übersetzte für die Anderen die Inschrift, die am Sockel auf einer Messingplatte eingraviert war. Sie befanden sich in der Ruhestätte von Garatosch, Sohn des Ulmatox. Grim konnte mit diesem Namen zwar nichts anfangen, doch als er die Statue im Fackelschein musterte, erkannte er einen gekrönten Zwerg, an dessen Arm ein Armschiene funkelte. Argwöhnisch untersuchte er das Monument genauer, hinter der losen Widmungsplakette fand er zwei Heiltränke. Auch die Augen der Statue schienen ihm ungewöhnlich. Während Rotang im Norden die Wand entlang schritt und Ludwig die westliche Wand der Halle untersuchte, versuchte Grim die Staue zu erklimmen, um der Armschiene habhaft zu werden. Nachdem er die Hälfte des Sockels erklommen hatte, rutschte der Zwerg ab´und schlug rücklings auf dem Boden auf. Nachdem er den Zwerg für sein Unglück belächelt hatte, versuchte Tronde die Statue zu erklimmen. Behände erreichte er die Oberseite des Sockels, doch auch er rutschte am fein geschliffenen Granit ab und landete unsanft auf Grim, der ihm nicht mehr rechtzeitig ausweichen konnte. Grimbald tastete sich unterdes langsam durch den Raum, er warnte Grim vor einer auffälligen Bodenplatte, die er im Schein der Fackeln hinter dem Angoshim erspäht hatte.
Neugierig untersuchte Grim die Platten,er versuchte den Mechanismus, den er dort vermutete, unschädlich zu machen. Plötzlich zischte ein Bolzen über seinen Kopf und zerschellte an der Statue. Unbeirrt untersuchte der Zwerg die Platte weiter und löste die Falle erneut aus, bevor er sich wieder der Statue zuwandte.
Durch den Lärm alarmiert, eilte Gwynwen zur Statue und fand Tronde auf dem Rücken am Boden liegen. Sie zeigten Gwynwen die Armschiene an der Statue und erklärten ihren Verdacht, dass in den Augen der Schlüssel zu den Armschienen liegen würde. Mit einer erschütternden Leichtigkeit, die die Zwerge vor Neid verblassen ließ, erklomm Gwynwen die Statue. Um die Augen der Staue erkannte sie die Linien auf die Grim sie hingewiesen hatte. Mit leichtem Druck vermochte sie die Augen im Kopf zu versenken. Sie vernahm ein leichtes Klicken und wandte sich den Armschiene zu. Ohne Probleme ließ sich diese von der Statue lösen und Gwynwen stieg leichtfüßig zu Grim und Tronde hinab. Die Elfe überreichte Tronde die Armschiene. Er musterte das mit feinen Runen verzierte Kleinod, reichte sie an Grim weiter, der sie schnell in seinem Ranzen verschwinden ließ.
Für die nächsten Minuten durchsuchten sie die Halle akribisch nach Hinweisen, um den Ring nach dem der Händler verlangte zu finden. Quaz’Ra hielt sich tief geduckt, um dem möglichen Bolzen einer Falle zu entgehen, Eirik folgte ihm auf dem Fuße. Im Schein von Rotangs Fackel konnte er ein auffälliges Muster in der westlichen Wand erspähen und deutete auf die Stelle. Weniger ängstlich eilte Ludwig zur Auffälligkeit, die der Achaz ihm gewiesen hatte. Tatsächlich konnte er einen der Steine beiseite schieben und ein kleiner Beutel mit ein paar Münzen fiel ihm in die Hände, doch von dem Ring war auch hier keine Spur. Ernüchtert schlenderte Ludwig zur Statue, um zu ergründen, wie sie weiter vorgehen wollten. Ein leises Klicken war das Letzte, was er vernahm, bevor ihn ein harter Schlag in den Rücken zum Straucheln brachte. Ein stechender Schmerz fuhr ihm durch den ganzen Körper, mit einem Schrei ging er zu Boden. Quaz’Ra erkannte sofort den Bolzen, der weit in den Rücken des Halbelfen eingedrungen war. Er versuchte Ludwig von der Falle zu ziehen, doch seine Krallen fanden keinen Halt auf dem polierten Untergrund. Erst Rotang, der auch zur Hilfe geeilt war, konnte Ludwig in Sicherheit zerren, wo Gwynwen ihm die Wunden mit einem Zauberlied heilte. Quaz’Ra drängte die Binge zu verlassen, wussten sie doch nicht, welche Gefahren noch auf sie lauerten.
Kurz bevor der Trubel im Westen Grims Aufmerksamkeit an sich gebunden hatte, begutachtet er die östliche Mauer, wo sie zuvor die Halle betreten hatten. Behutsam tastete er sich die Wand entlang und entdeckte bald eine losen Stein, den er wie das Türchen einer Schatulle aufschieben konnte. Ihm fiel ein kleines Bündel aus Leinenstoff in die Finger, das in seinem Inneren den gesuchten Ring des Händlers verbarg. Stolz verkündete der Zwerg seinen Fund, sie hatten ihre Ziele erreicht. Vorsichtig folgten sie ihren eigenen Spuren, um keine weiteren Fallen auszulösen und stiegen den schmalen Gang hinauf ins Freie, wo sie eine sternenklare Nacht erwartete.
